Das Internet in die Politik hineinprügeln!

Etwas martialisch, weil ich mich grade aufrege. Ich mag aber auch ein paar Gedanken äußern, mit denen hoffentlich auch Leute was anfangen können, die die Sache etwas gelassener sehen. Kurz zusammengefasst: obwohl ich mich schwertue mit Weltuntergangsszenarien, will ich meinem allgemeinen Unbehagen zum gegenwärtigen Stand der Mediendemokratie Ausdruck verleihen und mal artikulieren, warum ich befürchte, dass wir grade in der Tat vor größeren Weichenstellungen stehen, die gegebenenfalls in Richtung $dystopie_der_wahl führen. Das Netz bietet Möglichkeiten der Politisierung und der Partizipation galore, jeder Demokrat müsste eigentlich seit Jahren pausenlos am Jubeln sein, stattdessen ist das Netz ein Feindbild der Politik, stattdessen werden gerade die kompetenten Stimmen, die das Netz hörbar und verfügbar macht, ignoriert. Grade angesichts der EU-Wahlen sieht mans mal wieder deutlich, und grade zu den EU-Wahlen hab ich mich durchgerungen, protestwählen zu gehen, und das ist was, was mir ein wenig Sorgen macht, weil ich das bislang vermieden habe.
Das Altbekannte: seit einigen Jahren nun ist das Thema Internet und Politik in der Diskussion. Es gab Hoffnungen in Richtung Graswurzeldemokratie, Bürgerbeteiligung, neuen Formen politischer Öffentlichkeit undsoweiter. Ich mag nun keine Einzelprojekte einer Einzelbetrachtung unterziehen, abgeordnetenwatch ist gottseidank mehr als Wiefelspütz und Bürgerbeteiligung mehr als ein elektronisches Meldeamt, aber was mir die ganze Geschichte um Zensursula oder die aktuelle Dreckschleuder namens Internetwahlkampf grade nahelegt: Potentiale finden grade kaum statt, das schlechteste aus der Offlinewelt wird hingegen übernommen. Das Netz macht seinen imo wichtigsten Job mal wieder hervorragend: es liefert ein ungeschöntes Bild der Realität. Und die sieht so aus, dass die Politik per se netzfeindlich ist und das Gefasel von Demokratisierung eben Gefasel. Selbiges konnte man absondern, solange mit dem Netz keine Demokratisierung drohte, und nun gäbe es Möglichkeiten galore, da muss man halt mal Klartext reden und sagen, dass man die in der Politik verdammt nochmal nicht *will*.
Das ist der Hauptpunkt, auf den ich rauswill: wie wird das Netz in der Politik rezipiert? Und ich wage nach Jahren der Debatte zu behaupten: es wird praktisch nur als eine Gefahr betrachtet. Nicht nur, weils dort Fickbilder gibt. Sondern weil sich dort Leute öffentlich artikulieren. Das ist nämlich Bürgerpartizipation, und himmelherrgottverdammt: die stört!

Die Zensursula-Petition ist natürlich ein Paradebeispiel. Hunderttausend Menschen äußern sich, ich wage zu behaupten, dass sich zu einer solchen Petition eher Leute bekennen, die ein wenig was im Kopf haben und weiter als drei Bild-Schlagzeilen denken können. Deren Statement macht insbesondere eins: es *stört*. Man muss sich in der Politik auf einmal für die eigene Inkompetenz (vor einer kritischen! kommentierenden! Öffentlichkeit!) rechtfertigen. Man muss dort auf einmal darauf achten, dass man nicht allzu offensichtlich ausversehen eine Zensurinfrastruktur baut oder eben mal Verfassungsgrundsätze verheizt, lauter *Störungen*, verdammt!
Und das ist der Knackpunkt. Ich hab da immer mehr das Gefühl, da droht nun tatsächlich Bürgerbeteiligung, und solang das so ein theoretisches Konstrukt war, solang das eben ein paar Leute waren, die im Bürgerbüro vorbeikommen oder eben die Leute, die man alle vier Jahre mal auf der Wahlkampftour sieht und die einen dann fragen, was die CDU zu tun gedenkt, wenn der Nachbar seine Garage einen halben Meter von der Grundstücksgemarkung entfernt bauen will, das sind Verhältnisse, in denen es gut funktioniert, gelegentlich von Partizipation zu salbadern und ansonsten drauf zu scheißen.
Und jetzt kontrastiere man das mal mit den Potentialen, die man als einigermaßen demokratieinteressierter Politiker eigentlich sehen könnte. Tatsächlich Leute beteiligen. Experten “von der Basis” mal hören. Experten zu allen möglichen Gebieten öffentlich anhören, in den ganzen Lobbyirrsinn mal ein wenig Transparenz und Offenheit reinbringen. Nennt mich naiv, mir ist ja klar, dass da diese Offenheit gar nicht *gewünscht* ist, aber dass man nicht wenigstens manchmal versucht, das zu *inszenieren*, das bringt mich draus. Alle kommerziellen Seiten schreien nach Klickbaits, alle wollen sie usergenerierten Content, nur in der Politik hat man das Gefühl, da stört man bereits, wenn man eine Webseite auch nur aufruft.
Wenn man wollen würde, könnte man da einiges machen. Aber dass es im Petitionsforum des Bundestags jetzt Jahre Vorgeschichte und eine riesige Petition gebraucht hat, bis die Forenbetreuung überhaupt mal erst die Probleme zur Kenntnis nehmen muss, die andere Boards seit Jahren haben, das spricht schon Bände. Der Netzbürger stört eben in der Mediendemokratie.
Das ist an sich ein Armutszeugnis angesichts dessen, wie vehement jahrelang Medienkompetenz gefordert wurde (kommts nur mir so vor, oder ist das Thema inzwischen gegessen, durch, unerwünscht?) oder das Lob der Eigenverantwortung gesungen wurde. Das inzwischen auch schon abgeschmackte “bürgerschaftliche Engagement” wollte man vor ein paar Jahren als kostenlosen Ersatz des Sozialstaats aufbauen, da konnte gar nicht laut genug geschrien und gefordert werden, dass wir schließlich alle der Staat sind, Verantwortung übernehmen, uns einbringen und engagieren sollten, und jetzt ist das Thema gegessen. Wie gesagt: der Netzbürger stört. Insbesondere, wenn er sich einbringt. Wem das vorhin mit dem “Der Bürger stört” zu heftig war: bitte vergleicht mal die Kampagnen und den Aufwand, die um so ein Gedöns wie das “bürgerschaftliche Engagement” getrieben wurde, “Du bist Deutschland” und Ähnliches und *dann* vergleicht mit Aktionen, in denen tatsächlich Beteiligung an politischer Willens- und Meinungsbildung im Netz Betrieben wurde. Sollte es solche überhaupt geben.
Und was jetzt halt übrigbleibt, ist das eingangs erwähnte, schale Gefühl, dass man solang nach Demokratie und Beteiligung schreien konnte, solang sie eben nicht tatsächlich drohte. Nun haben wir die Mittel und die Medien, und es wird sich überboten drin, wer Sachargumente, Expertenwissen und Partizipation aus dem Netz effektiver abbügelt und abperlen läßt, ignoriert oder sich soweit zurechtbiegt und -lügt, bis man sie wieder ignorieren kann, so, wie mans eben *gewohnt ist*.
Das ist so der Punkt, der mich den Satz der Überschrift tun lässt. Die harten Fakten des Internetz müssen den Leuten in die Hirne geprügelt werden. Diese harten Fakten sehen nicht immer schön aus, aber so ists nun mal mit dieser komischen Realität, von der man grade im Internetz immer so viel hört.
Und deswegen denke ich, dass man im Netz noch mehr und noch fortgesetzt und immer wieder den zivilen Ungehorsam braucht, das aktive Vorleben der Wirklichkeit, bis es einfach keiner mehr ignorieren kann, ohne sich hoffnungslos zu blamieren. Dazu gehört das genüßliche Zerlegen der Lügen, die die Laien auftischen, dazu muss man den Akteuren in der Politik permanent unter die Nase reiben, dass wir die medienkompetenten, beteiligten, partizipierenden Bürger sind, nach denen sie immer geschrien hat, solangs ohne drohenden Erfolg machbar war, und dass sie diese ganze demokratische Scheiße jetzt eben an der Backe haben. Ja, wir gestalten unser Gemeinwesen, und wir gestalten es hier im Netz. Und wenn die Politik meint, mitgestalten zu müssen, dann muss sie lernen, wie so ein Gemeinwesen funktioniert. Und wenn das schwer ist, soll sie ein paar Experten einladen. Das geht doch sonst auch immer.
Nachsatz: An dem Text tipper ich seit drei Tagen rum, und jetzt steht bei SpOn was erstaunlich ähnliches, natürlich ein wenig ziviler formuliert. Die Freude, dass SpOn sowas neben dem üblichen staatstragenden Geseiere zur Abwechslung mal wieder bringt, macht meinen Ärger grade mehr als wett, dass ich gestern hier nicht mehr zum Ende gekommen bin.